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Andreas Fahrendorf (Ps. Jahn Finkas), geb. 1960 im Ruhrgebiet,
lebt mit seiner Frau in der schwäbischen Provinz.
Gemeinsam haben sie fünf erwachsene Kinder

Vita
Abitur, Reisen, 2 Jahre Architekturstudium,
Auslandsaufenthalte, Landwirtschaftshelfer in Dänemark,
4 Jahre Schauspielstudium, div. Engagements,
Unterrichts- und Lehrtätigkeiten u.a. für Deutsch als Fremdsprache,
17 Jahre Anstellung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung
im Fachbereich Kunst und Therapie,
Fortbildung zum Familientherapeuten seit 2018

Stipendien
Förderkreis deutscher Schriftsteller in BWB
Friedrich von Hardenberg-Stiftung (für eine Arbeit über Farbmeditation)

Publikationen
Wolkenflöz (WF),Gedichte, Wiesenburg-Verlag 2009
Bd.1 Marabu/Cumulus, Bd. 2 Cheiron/Fürbaß
5ÜNFBLATT (FÜ), Gedichte, Athena-Verlag 2016
Kleines pandemisches Glossar, Essay, Info3-Verlag, 2022
Anthologien, Zeitschriften

Projekte in Vorbereitung
Souffleuse, Die Unverwandtheit vor dem Konkreten
Rubedo, Physiognomik der Farbe
Drillichshalber, Gedanken und Aphorismen
Die guten Dinge

Die ist was fürs Leben, sagte die Patentante
mit ihrer Dauerwelle
am Bande inmitten von Kölnischwasserschwaden: und verlieh
mir die edle Schabracke. Was ist schon fürs Leben,
hab ich mich da gefragt: das absolute
Gehör, eine Idee, die gebrochene Nase. Immer
soll das Unwandelbare
Einzug halten in diese Welt wie der Nachtzug Stuttgart/Paris, die Gaze
auf der geschürften Haut – Prisen
Sternenstaubs
in unser gieriges Auge.

Lohals

WF1
(Langeland)


Wolkengebirge gedeiht
unter gewaschenen Einfuhrzöllen.
Enzyklopädische Häupter
wie dazumal auf dem
Markt von Athen.

Aus seinen Schleusen greifen
die Wikingerruder des Lichts
flussaufwärts. Die kurzen,
staubigen Fallreeps des Regens
bleiben an Land zurück.

Angekurbelt vom Sturm
stürzt die Schildkrötensuppe
der See – silberne Schmelze im
Gegenlicht – in Richtung
des winzigen Hafens.

Junta für gewisse Stunden


Auf dieser Partymeile ist kein Flirt möglich – hier ist
der Graben von Panama, voll mit Moschus
und schwappenden Fetten.
Zigaretten zwischen den Zähnen gegautscht kratzen
wie Pferdedecken im Rachen – ein Qualm,
der die Müßiggänger zu Männern macht:
Aus einem Gespräch über Felgen
kehren sie wie runderneuert zurück. Die Redbull-
fahne vor der landflüchtigen Stirne spekulieren sie auf
inzwischen die geschlossenen Zwillingsreihen
im flackernden Anschlag
und schauen sich dieses sommerliche, mit Nichts
verdiente Gedränge

eine Weile noch an.
nippon woss hije
WF1

Die Reisebusse pusten
das kleine Volk Luftschlangen
Kolibris aufgebracht vor
fränkischer Fachwerkkulisse
blutarme Rundumdieuhr-
displays dazwitschern einen
auf offener Straße mitten
im Schlaf lass doch die Vögel
verzehren im Flug wenigstens
bleibt da nichts hängen
und,
hier übernachtete ein ganz

anderes Licht fällt da auf den
Folterkeller mit dem Finger
auf andere wühlen im weiland
brezelbepachten Barock das alles
leisten sich die Busse eine Runde
Leerlauf wohingegen dieser 1a-Coup
Heuschrecken wie ein eisiger Spray
lächelt also die Japanesin
in der Weise eines Einstiegs
ihre Taille Elasthan und Tschüss
das importierte Maskottchen
Schlüsselanhänger.

Moto Cross

WF1

  Im Vorlauf die Rangen,
die mit bibbernder
Flugsamentinte
die Bahnen zeichnen –
regelmäßig
verfilzt in den Haar-

  nadelkurven: ohne
Widerlager noch
angewiesen auf dieses
Gezappel
im molekularen Verband.

  Die Flüggen
um einiges später: dividierter
federn sie,
zarathustrischer über
die aufgefrästen
Lehmwellen hin.

  Mit dem Eins-
fümmenzwanzich-
hub und der herrlich
besudelten Start-
nummer kürzt man
Charakter ab.

  Stimmbrüchig,
von eng an-
liegenden Sinnen,
befiehlt ein jeder sich
seinem furzenden
Fahrwasser.

Gefährliche Annäherung


Gereizte Infrarotaugen wachen
über die Mangroven wuselnder Fußgängerzonen. Ihr wieder-
käuender Bandwurm zoomt sich ein
in das Dossier unsres niemals abgedunkelten Alltags. Wer
macht ihm den Strich durch die Rechnung – wer,
wenn nicht wir, dieser umworbene
Faktor. Mata Hari war wie die malayische Sonne
Kundschaft: Alle sind gut, alle sind schlecht
hinter der Pappmaché von Intrigen und Lagern –
sie brachte die versulzte Geschichte ein bisschen ins Schwitzen.
Die in Hass und Verunsicherung
alle
vereinen: müsste man
die nicht seligsprechen? Als hätten sie ebenbürtig
Ruß zu Kristall verdichtet, Paradoxe zur Hostie, hochgehalten
gegen das Licht...

Ein Tag

WF2

Kühle des Abends. Und
immer noch glüht unsre Haut
wie das Mosaik
          einer Kirche.

Der sirrende Puls der Grillen
im Umraum – ein Echo
ihres gewichtigen Friedens:
Sie sammelten alle Grannen

der Sonne auf, die sie verlor
beim verspäteten Aufbruch:
Reliquien von sanfter,
nardenschimmernder Bräune.

In den nackten Grubenlichtern
unserer Füße reift ein einfaches
Erbe, das das Steinzeug
der Küche wärmt.

Die Ruhe pflöckt
orphische Tiere los – wie lautete doch
die Mahnung der Wiesenblumen:
Der Sinn ist der Sinn.

Legende von



den länger werdenden Tagen


Dieses Licht bestand
eine harte Schule. Es existiert ohne den Klotz
der Elternteile: denn es soll das Dunkel besiegen.
Weniger als Licht, nur sein
Atem,

wurde es von Gipfel zu Gipfel geworfen – jonglierendes
Plasma, das sich die Thermik der Läuterungen
zunutze machte. Mit unnahbarer Hand
wischt es über die Erscheinung
des Waldrands, bis dieser schimmert wie das Avers eines Geldstücks:
Er spielt zwischen Cognac und Fuchsbalg,
einer Spur Kambium und dem klammen Curry
gefledderter Autositze.

Allerheilig, die



letzte Totale

WF2

Den geplünderten Polstern
der Sonnenblumen wurde
das Licht abgedreht. Braun-
übertüncht verteilen sich,
mit spitzem Zillekinn, die Au-
wälder längs der Bundesstraße.

Scheiden klaubt den Ballast ab.
Auf dem Gleis des Verlassens
schält sich des Anderen Ton
wie das plötzlich unersetzliche,
schüchterne Rauschgold der
Birken, der Lärchen verglühendes

Hitzeschild. Ihr Apricot
das Gestöber später, leukämisch
benommener Fliegen, in die ein
rötlicher Kamm fuhr: So werden
die Toten tasten nach uns – im Lava-
abraum unserer schnappenden Träume.
Verhaltensforschung

Wir läsen zu viel und meditierten zu wenig, hat Zbginiew Herbert einmal gedichtet. Vielen Lyrikern könnte man ins Stammbuch schreiben, sie schrieben zu viel und läsen zu wenig. Aus den Reihen der Erzähler wird in eine ähnliche Kerbe gehauen: Gedichteschreiber schrieben viel, und überhaupt schrieben viele Gedichte – in erster Linie über sich selbst. Ich kann das nicht beurteilen, denn auch ich lese zu wenig. Ich interessiere mich aber sehr für den Anderen.

Mit Unverwandtheit vor dem Konkreten ist gemeint das Absehen von sich, die Ansehung des Anderen, die Ausschau nach ihm. Sie macht aus der Not des ständigen Aufgehaltenwerdens das Laster (oder die Tugend), lange hinzuhören und hinzusehen, länger als nötig. Unnötig lange: So pflegen es Seeleute wie Joseph Conrad zu tun oder Wüstenbewohner oder manche Mimen im Film, deren Pausen wirken, als seien sie schwer von Begriff, weil sie über die langen Wege der Subtexte wandern. Oder wie manche Leute im Hinterland, die einem nach zwei Wochen antworten auf eine Frage, die man schon längst vergessen hatte.

Mit Unverwandtheit gemeint ist auch: zu warten, bis die Erscheinungen sich trauen, sich auszusprechen (durch immer weitere Verzauberungen). Poesie betreibt Verhaltensforschung des Bildes als erstes und letztes Wort. Sie ist Physiognomik, wie sie Tolstoj oder Ivo Andric als Erzähler betrieben. Ihre Trägersubstanz, ihr Vehikel ist der rehabilitierte Laut (und ausgerechnet ein Hinterwäldler wie C.F. Meyer hat das vorbildlich vorexerziert). Lyrik liest in den Fährten, indem sie neue auslegt. Interpretation, Kommentar, Konzept, Erklärung sind Belästigungen aufgrund fehlenden Vertrauens in die Ablösungsfähigkeit eines Werks. Man kann einem Hasen friedfertig das Fell über die Ohren ziehen, nicht aber der Poesie. Deren Bewunderung gilt dem nicht Abreißenden alter Möbel, in die hinein sich keine Schraube und kein Nagel gewagt haben. Oder gewissen Gewändern ohne Naht. Auch der blanken Schnörkellosigkeit eines Maulschlüssels in den Sätzen eines Bernhard Travens oder in Zeilen Bertolt Brechts.

Die Parteinahme für das Konkrete schließt das politische Gedicht oder das Naturgedicht oder das Gebrauchsgedicht oder das geistliche Gedicht oder das Gedankengedicht oder das Gedicht um seiner selbst willen oder sonstige Formen von Gedichten weder ein noch aus – sie kümmert sich weder um diese Unterschiede noch um ausgestopfte Vögel anderer Art. Sie interessiert sich für das Konkrete. Nicht für das Besondere als Sonderbares, das auffällt und herausfällt, sondern für das überall Besondere, das im Entdeckt-Werden durch einen Betrachter blüht in der Flüchtigkeit und zu sich kommt. Manchmal macht Gelegenheit Dichter. Der Landarzt W.C. Williams oder der Landwirt Robert Frost gehören nicht zu ihren schlechtesten.

Die Wirklichkeit des Konkreten ist Bezeugung durch Erzeugen. Die Unzertrennlichkeit von Erfinden und Finden ist eine Behauptung. Sie schöpft ihre Hoffnung nicht aus jenem Gedankengut, das unsere produktive Subjektivität ins Private und Infantile verbannt und ihr jeden Zugang zu Realitäten versperrt. Unverwandt wie unverbesserlich setzt sie indes auf einen doppelten Anschluss an Wirklickkeiten: an die Dinge und den Geist in ihnen. Das Ich versteht sich auf das Konkrete. Beide berühren sich wie die auseinanderliegenden Enden einer Geraden, die sich verwirrend und zärtlich um die ganze Welt schmiegt.

Sich in etwas hineinzuversetzen, zu schwingen, bedeutet, Antworten auf ein Echo zu erhalten oder sich an das Neue zu erinnern. Die wissenschaftlich geforderte Verstehbarbarkeit einer Sache aus sich selbst heraus, ist etwas anderes als die Bedeutung des Einmaligen in sich selbst. Die Erforschung dieser Geheimnisse ersetzt objektive Außenbetrachtung durch Intensität und das Amen des Erlebens. Die wundervolle, manchmal unheimliche Alltäglichkeit ist anwesend in den Zeugnissen eines Musils oder Cortazars, eines Dylan Thomas oder einer Gertrud Kolmar. In diesem Bedeuten enthält das eine Ding immer alle anderen Dinge oder klingt an sie an oder leitet zu ihnen über oder entspringt aus ihnen. Diese Familiarität ergänzt den heute obligaten Differenzgedanken oder sprengt ihn auf oder ersetzt ihn.

Gedichte können zusammengeschobene, minimalistische Essays und Essays aufgefaltete, ausgebreitete Gedichte sein. Man hat die philosophische Phänomenologie für harmlos gehalten und die philosophische Anthropologie aufgegeben. Man sollte ähnliche Fehler bei der Verkennung der Kunst als Erkenntnisform nicht wiederholen. Als Teil eines erweiterten Erfahrungswissens und als Antipode des Herrschaftswissens ist diese alles andere als eine "Metaphysik für kleine Mädchen". Und wenn sie (hoffentlich) subversiv ist, dann nicht nur durch diese oder jene Positionspapiere, sondern allein dadurch, dass sie an ihrer eigenen Quelle sitzt und beschreibt, was ist.

Dinge wispern, Orte erzählen, Bäume geben Kunde. Die Esche zum Beispiel erzählt mir von welchen, die gerade noch da waren und gleich vom Erdboden wie verschluckt sind: vom flunkernden Engel, den Tobias mitnahm auf Wanderschaft, von Aschenbrödl in ihren flinken Schuhen, von sagenhaften Begründern, die über Nacht weiterwandeln ohne feste Adresse. Mir erzählte eine, wie sie, sitzend in einem Ahornbaum – auf nüchternem Magen und bei klarstem Verstand – eine Arie soufflieren hörte: keine Schlummer oder Toilettenarie, sondern eine, erfüllt von schallendem, homerischem Lachen. Ich freue mich auch, wenn mir bei Wilhelm Raabe die Verstorbenen auf dem Gehsteig begegnen – nicht als Sensation, sondern als Normalität.

Die Ohnmacht versteht die Macht besser als die Macht die Ohnmacht – diese umfasst jene, nicht umgekehrt. Deshalb füllen in der Realität Dichter oft die staatsmännische Rolle eines Diplomaten aus, schließt umgekehrt der Diplomat aber niemals den Dichter ein. Ich glaube nicht an die Steigleiter der dialektischen Synthese, sondern an die der Raumgebung, an die des Zusammensehens, an die Umarmungen konzentrisch wachsender Ringe. Weil ich zu wenig lese, wurde mir auch erst jetzt klar, warum die Moderne heute als das Rückständige gilt und ich ihr immer noch anhänge. Aber wer vermag schon zu sagen, ob nicht die Besinnung auf etwas zuweilen allem voraus ist.
Profielbild
2021
Rezension 2016 in der Literatur-Zeitschrift Am Erker

Das Zittern der Zweige

Wo wachsen, wie erntet man
Versfrüchte? „Keine Frucht wächst auf
dem Stamm eines Baumes; denn
Stämme zittern unten nicht; die Spitzen
der Zweige zittern.“ Die Beobachtung von
Rumi hat Jahn Finkas seinem
Gedichtbuch 5ÜNFBLATT vorangestellt.
Legen wir nun eine Leiter an
schwankende Äste? Warten wir, dass die
Früchte windbedingt fallen oder suchen
wir zu schütteln?
Letzteres wohl kaum. Zunächst: Sie
leuchten verführerisch, diese
Zeilenzweige mit ihren Wortbildungen
(„ostergrasen“) und unbändigen
Gedankenkombinationen. Allein schon
die Gedichttitel verlocken: „Von der
Sanftheit des Erkennens“, „Aus dem
Tagebuch der Subversion“ oder
„Nachrichten aus dem Saloon“. Es sind
News aus der Subverswelt, allenfalls
behutsam zu deuten.
Dabei schlagen sei einem schon
manchmal deutlich um die Ohren. In
„Junta für gewisse Stunden“, auch so ein
Titel, macht Zigarettenqualm
Müßiggänger männlich, und: „Aus einem
Gespräch über Felgen / kehren sie wie
runderneuert zurück.“ Aus der Welt der
neuen Übermütter, „dauernd auf Achse
von Pontius zu Pilates“, heißt es: „Naja,
wir splitten uns so durch“ („Von der
Überlegenheit der Papiertaschentücher“).
Weit gefächert ist das Themenangebot
des 1960 geborenen Autors. Er spürt
Widersprüche auf, jagt Gegensätzen
nach, gelegentlich mit einer Einfallsfülle,
einem Formulierungsfuror, die den Geist
und „das Amen / der Überwältigung“
atmen.
Dabei scheint es ihm gleichwohl um die
„Aufwertung der Existenz“ zu tun zu sein,
so die Überschrift des Gedichts, dem das
„Amen“ entstammt. Auffallend häufig
werden wie selbstverständlich religiöse
Begriffe verwendet, aber gern wider den
Strich gebürstet, wie in der
Kirchenbesichtigungskritik „Parusie über
Audio-Guide“: „Der Auferstandene / (auf
unbestimmt in der Reha) ist vorgesehen,
zwischen- / zeitlich aber, als /
ungeratener Bruder, unter die Decke
genagelt: hoch / über den putzsüchtigen
Straßenkreuzer- // altären von Burgos:
hinter den Absperrungen, wo man mit
künstlicher / Verspätung / die Stimmung
der Fanscharen / anheizt.“
In einem der leichtgängigsten Gedichte
des Bandes, „Farver“ (dänisch: Farben),
sieht sich das lyrische Ich beim
Betrachten des Wolkenspiels bestärkt „im
Zweifel an der Vorherbestimmtheit; denn
es ist so: Auch Gott / muss - und mit
ihm die versammelte Wahrheit - / auf
Wanderschaft.“ Mit der vorgegebenen
bewegt sich auch die selbst erkannte
Wahrheit. Muss ja nicht weit sein, so
dass man sie im Auge behält. Ähnlich
zugehen mag es bei der Versfruchternte
am zitternden Zweig.
Rolf Birkholz
Jahn Finkas: 5ÜNFBLATT. Gedichte. 148
Seiten. edition exemplum. Athena-Verlag.
Oberhausen 2016. € 14,90.
Profielbild
2022
impressum