Kontakt
Jahn Finkas
c/o Andreas Fahrendorf
Stielbachstraße 41
74423 Engelhofen
E-mail: kontakt@jahn-finkas.de
2022
Andreas Fahrendorf (Ps. Jahn Finkas), geb. 1960 im Ruhrgebiet,
lebt mit seiner Frau in der schwäbischen Provinz.
Gemeinsam haben sie fünf erwachsene Kinder
Vita
Abitur, Reisen, 2 Jahre Architekturstudium,
Auslandsaufenthalte, Landwirtschaftshelfer in Dänemark,
4 Jahre Schauspielstudium, div. Engagements,
Unterrichts- und Lehrtätigkeiten u.a. für Deutsch als Fremdsprache,
17 Jahre Anstellung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung
im Fachbereich Kunst und Therapie,
Fortbildung zum Familientherapeuten seit 2018
Stipendien
Förderkreis deutscher Schriftsteller in BWB
Friedrich von Hardenberg-Stiftung (für eine Arbeit über Farbmeditation)
Publikationen
Wolkenflöz (WF),Gedichte, Wiesenburg-Verlag 2009
Bd.1 Marabu/Cumulus, Bd. 2 Cheiron/Fürbaß
5ÜNFBLATT (FÜ), Gedichte, Athena-Verlag 2016
Kleines pandemisches Glossar, Essay, Info3-Verlag, 2022
Anthologien, Zeitschriften
Projekte in Vorbereitung
Souffleuse, Die Unverwandtheit vor dem Konkreten
Rubedo, Physiognomik der Farbe
Drillichshalber, Gedanken und Aphorismen
Von der Sanftheit des Erkennens
FÜ
Rode fremde Gedanken nicht, noch trenne sie
von dem Mund, der sie gesprochen hat.
Und spanne sie nicht
vor den eigenen Kopf, noch auch übergehe sie, nur
weil sie dir nicht entgegenkommen. Nimm sie
wie eine eigene Klasse: besessen, exotisch, gehätschelt. Miss nur
die Leitfähigkeit, die Unverfälschtheit lies ab von des Anderen Lippen –
mehr nicht.
Dass einer die eigenen Worte verrät,
heißt nicht, dass sie unwahr sind, sondern nur,
dass er sie verraten hat. Doch selbst der Bruch, selbst die Lüge ist Teil
eines Binnenlandes mit einem schlüsselfertigen Schicksal.
Märtyrer gibt es nicht, jeder tut, was ihm liegt. Im Index der Mensch-
werdung will jeder Irrtum einmal gedacht sein (allen Kandidaten
sei an dieser Stelle herzlich gedankt) – am Ende
bezwingt
die Schönheit der Spinnennetze.
Von der Zweckmäßigkeit der Steigleitern
FÜ
Wie Wölfe
ein kränkelndes Mitglied
verstoßen, pustet die Radikale den Abtrünnigen, scheidet
ihn aus wie eine Heilige unreinen Geist
und erhebt sich,
steigt, macht ihn unter
sich wie ein Köter sein Häufchen, scharrt ihm Gras-
schnitt hinterher, gibt null Kommentar,
nutzt diesen Rückstoß,
steigt. Steigt. Macht den Dummen vor Ort die neuen Auflagen
unbegreiflich,
überfliegt die Eignungen, ordnet
Belege, prüft die Konzepte, die Risikoanalysen, würgt mit Ab-
gabefristen, winkt die Papierkörbe zurück, saugt
unser Blut – bildet uns weiter.
Und sieht uns nicht. Steigt. Meidet
Kontakt.
Asyl für Jesaja
FÜ
Zog den Kopf
zwischen die Schultern, um sich weniger
groß zu machen. Mit der Akkuratesse
von Klapperstörchen kam ihm der Dank über die Lippen:
bless you.
Seine Nase, gefeilt
von der Mensur des Naheliegenden, beherrschte
auch die Sprache von
Hafenkränen.
Die funkelnde Nacht
seiner Augen aber rieb mir die grienende, hagere Faust der Vogelfreien
unter das Kinn – wir wussten, sein Abschied
war Abschiebung.
Meine Gedanken an ihn
sind wie eine Waschung: Ich sehe ihn dann, in den
Gräbern der Könige,
mit den gedrungenen Armen
der Sonne.
Called Kasimira
FÜ
Sie hatte den Zündschlüssel noch
in der Linken, die Karyatide: ein wogender Barhocker
auf dem Weg in die Innere. Schwarzes Träger-
kleid: Seine knitternden Gravuren hatten die häufigsten
Haltungen mitgeschnitten. Sepiaweiß die Haut, erlöst
von den Leisten der Motivation.
Unter Begoniennehrung schlummerte
ihre gut unterrichtete Diastole – Eselinnenblick
mit der Sammlung der Eule, weich,
ihr Haar das eines lange eingeschlossenen Samens.
Sie entschwand in die Schwüle des Nachmittags, wie sie aufgetaucht war –
hinter die Lichtschranke meiner Gedanken:
eine Tracheenesserin, unterwegs
zur Visite, ihr myrtenblättriger Haushalt umhüllt von feiner,
maritimer
Gummierung.
Kleine Ballade
WF2
Die Amsel hat ihre
schreckhaften Flügel
gewetzt. Nun nimmt sie
ihren Platz auf dem First ein
und hebt an:
jodelt die traubenzuckersüßen,
glitzernden Tropfen
eines Sommerschauers in ihrer
offenen Kehle.
Könnten ihre Augen leuchten,
würden sie leuchten.
Könnten wir uns gegenseitig
bewundern, würden wir uns bewundern.
Und das wäre eine echt
gute Therapie.
Nachrichten aus dem Saloon
FÜ
Wenn es die Belustigung weiser
Frauen wäre,
die durch den Schornstein ausrücken
zum Blocksberg, wenn es das Lächeln tanzender Krieger wäre,
drei Tage während, mit dem todesverachtenden Getrommel
von Rio: wenn es das wäre – nicht das Zubehör
eines Gewinnspiels,
der Mohnsaft für die Kleinen am Ende
der Tagesschau – wenn es nicht diese ganz privat unter
Aufsicht geschenkte, Schenkel werfende Revue wäre, die Sekunden
für uns das Lippenband rafft nach dem braven
Abklopfen
der Katastrophen...
Bastet
WF1
Der Schluss ihrer Lippen,
zwischen denen ein
windschattiges Blatt
nicht berührt würde,
das drahtdünne
Umschmiegen, das einem Lächeln
nur gleicht,
sind Segmente ihrer
Genügsamkeit.
Die einwickelnden
Serpentinen ihrer Anträge
sind Gewinner
vorab – doch bei alldem
unterhält die Löwin
wie abwesend
ihren schweigenden
Einklang.
Ihrem Dämon
des Widerrufs gibt man
wie einem, der hat.
Gelassen hebt sie
ihres Jochbeins
samtene Kimmen,
über denen hohe Sonnen
hervorbrechen.
Die Buche heißt Buche
FÜ
In den Wäldern die Kohlensäure
des Maigrüns, die Randpartikel gestreift vom
Suchlicht. Seine Mehrheit schweigt – ein Wels
im Schatten, dünnes Schalen-
geweih, schräg durch das Bild gespannt wie die hanfenen Wanten
eines Schiffsmasts. Ununterbrochene Stämme, grau,
amphibienhäutig. Ihre Beinlinge
stecken in den Schnallenschuhn der Gelahrtheit,
und Lorbeerblatt bekränzt, dichter
noch als ein Volk von Läusen, das Haupt
Alighieris: die Ohrenklappen eng anliegend, seine Nase
eine kratzende Feder – berichtend
von der klugen Führung Vergils und den lustigen
Kreisen der Hölle.
Sommernacht
WF2
Feldsternenstaffel. Noch die gezackten
Blinker zuhinterst schreiten zum Hausputz
in dieser mondleeren Nacht.
Milchig durchkreuzt sie die Serenade
des Ungefähren – die Gruppe des völkerwandernden
Planktons.
Über uns ist der Himmel, größer als wir.
Und schwer bricht es
durch sein dunkeles Laub als
funkelnde Renekloden: Nah wagt sich der Sommerstern,
schwärmend und steil wie der
Hut Nofretetes.
Zelt gläserner Detonationen, Monokel
der Keuschheit, aus Straffheit gewoben. Alt-
weiberfäden durchziehen wie Fühler
das Uhrwerk des Immerdar, und die Kuriere der Fügung
machen sich unaufhörlich, gedankenflink auf
in unser staunendes Marschland.
Dinglesmad
FÜ
Ich warnte den Fotografen: Es gibt hier keine rasierten
Sofas, Schablonen aus Wüstensand, den Effekt
zerstiebender Rens unterm laufenden
Helikopter – hier schläft
Dornröschen unter der fransigen Borke, knitz gehen halbhohe
Bäume am Stock. Und unter schillernden Moosen
geschient liegen die Biberschwänze: Von lokal
abweichenden Wettern gerüttelt fanden sie zurück zu einem
fließenden Profil. Haben Sie von
Pissaro gehört? Ein Mensch. Das Grüne. Irgendwer, irgendwo –
einer des andern
getigerter Untertan, mit nichts in der hohlen Hand.
Höchstens, dass er mit dem Daumen
auf dem dürren Hüllblatt einer Karde zupft: eine
ganz leise,
gläserne Melodie.
Die guten Dinge
FÜ
Die ist was fürs Leben, sagte die Patentante
mit ihrer Dauerwelle
am Bande inmitten von Kölnischwasserschwaden: und verlieh
mir die edle Schabracke. Was ist schon fürs Leben,
hab ich mich da gefragt: das absolute
Gehör, eine Idee, die gebrochene Nase. Immer
soll das Unwandelbare
Einzug halten in diese Welt wie der Nachtzug Stuttgart/Paris, die Gaze
auf der geschürften Haut – Prisen
Sternenstaubs
in unser gieriges Auge.
Lohals
WF1
(Langeland)
Wolkengebirge gedeiht
unter gewaschenen Einfuhrzöllen.
Enzyklopädische Häupter
wie dazumal auf dem
Markt von Athen.
Aus seinen Schleusen greifen
die Wikingerruder des Lichts
flussaufwärts. Die kurzen,
staubigen Fallreeps des Regens
bleiben an Land zurück.
Angekurbelt vom Sturm
stürzt die Schildkrötensuppe
der See – silberne Schmelze im
Gegenlicht – in Richtung
des winzigen Hafens.
Junta für gewisse Stunden
FÜ
Auf dieser Partymeile ist kein Flirt möglich – hier ist
der Graben von Panama, voll mit Moschus
und schwappenden Fetten.
Zigaretten zwischen den Zähnen gegautscht kratzen
wie Pferdedecken im Rachen – ein Qualm,
der die Müßiggänger zu Männern macht:
Aus einem Gespräch über Felgen
kehren sie wie runderneuert zurück. Die Redbull-
fahne vor der landflüchtigen Stirne spekulieren sie auf
offenen Vollzug – behalten
inzwischen die geschlossenen Zwillingsreihen
im flackernden Anschlag
und schauen sich dieses sommerliche, mit Nichts
verdiente Gedränge
eine Weile noch an.
nippon woss hije
WF1
Die Reisebusse pusten
das kleine Volk Luftschlangen
Kolibris aufgebracht vor
fränkischer Fachwerkkulisse
blutarme Rundumdieuhr-
displays dazwitschern einen
auf offener Straße mitten
im Schlaf lass doch die Vögel
verzehren im Flug wenigstens
bleibt da nichts hängen
und,
hier übernachtete ein ganz
anderes Licht fällt da auf den
Folterkeller mit dem Finger
auf andere wühlen im weiland
brezelbepachten Barock das alles
leisten sich die Busse eine Runde
Leerlauf wohingegen dieser 1a-Coup
Heuschrecken wie ein eisiger Spray
lächelt also die Japanesin
in der Weise eines Einstiegs
ihre Taille Elasthan und Tschüss
das importierte Maskottchen
Schlüsselanhänger.
Moto Cross
WF1
Im Vorlauf die Rangen,
die mit bibbernder
Flugsamentinte
die Bahnen zeichnen –
regelmäßig
verfilzt in den Haar-
nadelkurven: ohne
Widerlager noch
angewiesen auf dieses
Gezappel
im molekularen Verband.
Die Flüggen
um einiges später: dividierter
federn sie,
zarathustrischer über
die aufgefrästen
Lehmwellen hin.
Mit dem Eins-
fümmenzwanzich-
hub und der herrlich
besudelten Start-
nummer kürzt man
Charakter ab.
Stimmbrüchig,
von eng an-
liegenden Sinnen,
befiehlt ein jeder sich
seinem furzenden
Fahrwasser.
Gefährliche Annäherung
FÜ
Gereizte Infrarotaugen wachen
über die Mangroven wuselnder Fußgängerzonen. Ihr wieder-
käuender Bandwurm zoomt sich ein
in das Dossier unsres niemals abgedunkelten Alltags. Wer
macht ihm den Strich durch die Rechnung – wer,
wenn nicht wir, dieser umworbene
Faktor. Mata Hari war wie die malayische Sonne
der Seifenspender für eine illustre
Kundschaft: Alle sind gut, alle sind schlecht
hinter der Pappmaché von Intrigen und Lagern –
sie brachte die versulzte Geschichte ein bisschen ins Schwitzen.
Die in Hass und Verunsicherung
alle
vereinen: müsste man
die nicht seligsprechen? Als hätten sie ebenbürtig
Ruß zu Kristall verdichtet, Paradoxe zur Hostie, hochgehalten
gegen das Licht...
Ein Tag
WF2
Kühle des Abends. Und
immer noch glüht unsre Haut
wie das Mosaik
einer Kirche.
Der sirrende Puls der Grillen
im Umraum – ein Echo
ihres gewichtigen Friedens:
Sie sammelten alle Grannen
der Sonne auf, die sie verlor
beim verspäteten Aufbruch:
Reliquien von sanfter,
nardenschimmernder Bräune.
In den nackten Grubenlichtern
unserer Füße reift ein einfaches
Erbe, das das Steinzeug
der Küche wärmt.
Die Ruhe pflöckt
orphische Tiere los – wie lautete doch
die Mahnung der Wiesenblumen:
Der Sinn ist der Sinn.
Legende von
den länger werdenden Tagen
FÜ
Dieses Licht bestand
eine harte Schule. Es existiert ohne den Klotz
der Elternteile: denn es soll das Dunkel besiegen.
Weniger als Licht, nur sein
Atem,
wurde es von Gipfel zu Gipfel geworfen – jonglierendes
Plasma, das sich die Thermik der Läuterungen
zunutze machte. Mit unnahbarer Hand
wischt es über die Erscheinung
des Waldrands, bis dieser schimmert wie das Avers eines Geldstücks:
Er spielt zwischen Cognac und Fuchsbalg,
einer Spur Kambium und dem klammen Curry
gefledderter Autositze.
Allerheilig, die
letzte Totale
WF2
Den geplünderten Polstern
der Sonnenblumen wurde
das Licht abgedreht. Braun-
übertüncht verteilen sich,
mit spitzem Zillekinn, die Au-
wälder längs der Bundesstraße.
Scheiden klaubt den Ballast ab.
Auf dem Gleis des Verlassens
schält sich des Anderen Ton
wie das plötzlich unersetzliche,
schüchterne Rauschgold der
Birken, der Lärchen verglühendes
Hitzeschild. Ihr Apricot
das Gestöber später, leukämisch
benommener Fliegen, in die ein
rötlicher Kamm fuhr: So werden
die Toten tasten nach uns – im Lava-
abraum unserer schnappenden Träume.
Verhaltensforschung
Wir läsen zu viel und meditierten zu wenig, hat Zbginiew Herbert einmal gedichtet. Vielen Lyrikern könnte man ins Stammbuch schreiben, sie schrieben zu viel und läsen zu wenig.
Aus den Reihen der Erzähler wird in eine ähnliche Kerbe gehauen: Gedichteschreiber schrieben viel, und überhaupt schrieben viele Gedichte – in erster Linie über sich selbst.
Ich kann das nicht beurteilen, denn auch ich lese zu wenig. Ich interessiere mich aber sehr für den Anderen.
Mit Unverwandtheit vor dem Konkreten ist gemeint das Absehen von sich, die Ansehung des Anderen, die Ausschau nach ihm. Sie macht aus der Not des ständigen Aufgehaltenwerdens das Laster (oder die Tugend),
lange hinzuhören und hinzusehen, länger als nötig. Unnötig lange: So pflegen es Seeleute wie Joseph Conrad zu tun oder Wüstenbewohner oder manche Mimen im Film, deren Pausen wirken,
als seien sie schwer von Begriff, weil sie über die langen Wege der Subtexte wandern. Oder wie manche Leute im Hinterland, die einem nach zwei Wochen antworten auf eine Frage, die man schon längst vergessen hatte.
Mit Unverwandtheit gemeint ist auch: zu warten, bis die Erscheinungen sich trauen, sich auszusprechen (durch immer weitere Verzauberungen).
Poesie betreibt Verhaltensforschung des Bildes als erstes und letztes Wort. Sie ist Physiognomik, wie sie Tolstoj oder Ivo Andric als Erzähler betrieben.
Ihre Trägersubstanz, ihr Vehikel ist der rehabilitierte Laut (und ausgerechnet ein Hinterwäldler wie C.F. Meyer hat das vorbildlich vorexerziert).
Lyrik liest in den Fährten, indem sie neue auslegt. Interpretation, Kommentar, Konzept, Erklärung sind Belästigungen aufgrund fehlenden Vertrauens in die Ablösungsfähigkeit eines Werks.
Man kann einem Hasen friedfertig das Fell über die Ohren ziehen, nicht aber der Poesie.
Deren Bewunderung gilt dem nicht Abreißenden alter Möbel, in die hinein sich keine Schraube und kein Nagel gewagt haben.
Oder gewissen Gewändern ohne Naht. Auch der blanken Schnörkellosigkeit eines Maulschlüssels in den Sätzen eines Bernhard Travens oder in Zeilen Bertolt Brechts.
Die Parteinahme für das Konkrete schließt das politische Gedicht oder das Naturgedicht oder das Gebrauchsgedicht oder das geistliche Gedicht oder das Gedankengedicht
oder das Gedicht um seiner selbst willen oder sonstige Formen von Gedichten weder ein noch aus – sie kümmert sich weder um diese Unterschiede noch um ausgestopfte Vögel anderer Art.
Sie interessiert sich für das Konkrete. Nicht für das Besondere als Sonderbares, das auffällt und herausfällt, sondern für das überall Besondere,
das im Entdeckt-Werden durch einen Betrachter blüht in der Flüchtigkeit und zu sich kommt. Manchmal macht Gelegenheit Dichter. Der Landarzt W.C. Williams oder der Landwirt Robert Frost gehören nicht zu ihren schlechtesten.
Die Wirklichkeit des Konkreten ist Bezeugung durch Erzeugen. Die Unzertrennlichkeit von Erfinden und Finden ist eine Behauptung. Sie schöpft ihre Hoffnung nicht aus jenem Gedankengut,
das unsere produktive Subjektivität ins Private und Infantile verbannt und ihr jeden Zugang zu Realitäten versperrt.
Unverwandt wie unverbesserlich setzt sie indes auf einen doppelten Anschluss an Wirklickkeiten: an die Dinge und den Geist in ihnen.
Das Ich versteht sich auf das Konkrete. Beide berühren sich wie die auseinanderliegenden Enden einer Geraden, die sich verwirrend und zärtlich um die ganze Welt schmiegt.
Sich in etwas hineinzuversetzen, zu schwingen, bedeutet, Antworten auf ein Echo zu erhalten oder sich an das Neue zu erinnern.
Die wissenschaftlich geforderte Verstehbarbarkeit einer Sache aus sich selbst heraus, ist etwas anderes als die Bedeutung des Einmaligen in sich selbst.
Die Erforschung dieser Geheimnisse ersetzt objektive Außenbetrachtung durch Intensität und das Amen des Erlebens. Die wundervolle,
manchmal unheimliche Alltäglichkeit ist anwesend in den Zeugnissen eines Musils oder Cortazars, eines Dylan Thomas oder einer Gertrud Kolmar.
In diesem Bedeuten enthält das eine Ding immer alle anderen Dinge oder klingt an sie an oder leitet zu ihnen über oder entspringt aus ihnen.
Diese Familiarität ergänzt den heute obligaten Differenzgedanken oder sprengt ihn auf oder ersetzt ihn.
Gedichte können zusammengeschobene, minimalistische Essays und Essays aufgefaltete, ausgebreitete Gedichte sein.
Man hat die philosophische Phänomenologie für harmlos gehalten und die philosophische Anthropologie aufgegeben.
Man sollte ähnliche Fehler bei der Verkennung der Kunst als Erkenntnisform nicht wiederholen.
Als Teil eines erweiterten Erfahrungswissens und als Antipode des Herrschaftswissens ist diese alles andere als eine "Metaphysik für kleine Mädchen".
Und wenn sie (hoffentlich) subversiv ist, dann nicht nur durch diese oder jene Positionspapiere, sondern allein dadurch, dass sie an ihrer eigenen Quelle sitzt und beschreibt, was ist.
Dinge wispern, Orte erzählen, Bäume geben Kunde. Die Esche zum Beispiel erzählt mir von welchen,
die gerade noch da waren und gleich vom Erdboden wie verschluckt sind: vom flunkernden Engel, den Tobias mitnahm auf Wanderschaft, von Aschenbrödl in ihren flinken Schuhen,
von sagenhaften Begründern, die über Nacht weiterwandeln ohne feste Adresse. Mir erzählte eine, wie sie, sitzend in einem Ahornbaum – auf nüchternem Magen und bei klarstem Verstand –
eine Arie soufflieren hörte: keine Schlummer oder Toilettenarie, sondern eine, erfüllt von schallendem, homerischem Lachen. Ich freue mich auch, wenn mir bei Wilhelm Raabe die Verstorbenen auf dem Gehsteig begegnen – nicht als Sensation, sondern als Normalität.
Die Ohnmacht versteht die Macht besser als die Macht die Ohnmacht – diese umfasst jene, nicht umgekehrt.
Deshalb füllen in der Realität Dichter oft die staatsmännische Rolle eines Diplomaten aus,
schließt umgekehrt der Diplomat aber niemals den Dichter ein. Ich glaube nicht an die Steigleiter der dialektischen Synthese,
sondern an die der Raumgebung, an die des Zusammensehens, an die Umarmungen konzentrisch wachsender Ringe. Weil ich zu wenig lese, wurde mir auch erst jetzt klar,
warum die Moderne heute als das Rückständige gilt und ich ihr immer noch anhänge. Aber wer vermag schon zu sagen, ob nicht die Besinnung auf etwas zuweilen allem voraus ist.